Kapitel Fest
Der Junge führte ihn quer durch das nächtliche Paris über die rue St. Antoine in die Nähe der Place Royale. Dort, in einer Nebenstraße, lag das Palais Illjin, von der Straße durch ein großes Tor und einen kleinen Innenhof abgeschirmt. Der Hof lag im Dunkeln, keine Kutsche, kein Pferd standen darin, die Gäste dieses Festes waren mit anderen Mitteln gekommen, doch die Fenster waren hell erleuchtet, und leise Klänge von Musik wehten herüber. Kaum hatten er und sein junger Führer den Perron betreten, öffnete sich auch schon die schwere Eingangstüre, ein Mann verneigte sich, wartete höflich. Er zögerte, die Schwelle zu überqueren, Angst ergriff ihn, zerrte an seinen Eingeweiden, was würde er ihnen entgegenzusetzen haben? Doch war es zu spät, er wusste es wohl, und so trat er ein, legte Hut und Mantel in die ausgestreckten Hände des Dieners. Der Junge lächelte und nickte, führte ihn weiter in das Innere des Hauses, in ein prunkvolles, aber leeres Vestibül, das durch mehrere Kerzen erhellt wurde. „Wartet hier“, wies er ihn an und verschwand durch eine der reich verzierten Türen. Porträts starrten ihn von oben her an, dunkle Augen musterten ihn und er kramte in seiner Erinnerung – was hatte ihm sein Vater von den Illjins erzählt? Eine reiche, mächtige Familie aus fernen Landen, jenseits der Karpaten, sie hatten einen Sitz in Venedig und ein Palais in Paris, trieben Handel und waren geachtete Kaufleute, über viele Ecken mit dem Medici liiert. Emporkömmlinge hatte sein Vater sie genannt, aber Emporkömmlinge mit Stil, immerhin hatten sie die Grafenwürde verliehen bekommen. Und er? Wie würde ihn sein Vater nun nennen, wenn er sehen könnte, was aus ihm geworden war?
Er wurde jäh aus dem schmerzenden Gedankenstrudel gerissen, als eine der Türen aufging und ein älterer Mann erschien, er mochte um die fünfzig Jahre zählen, hatte weißes Haar, doch er hielt sich aufrecht und strahlte Würde aus. Seine Kleidung war aus feinem Tuch, aber nicht protzig, und Lachfältchen um die Augen verrieten den Lebemann, ließen ihn leutselig und sinnenfroh wirken, ein Patriarch mit natürlicher Autorität. Und mehr noch. Es war eine Aura um ihn wie um Richelieu, aber dunkler, viel dunkler. Hier stand kein einfacher Kaufmann, hier stand ein Wesen, das es gewohnt war, dass man sich vor ihm verneigte, ein Wesen, das Macht besaß, ein Wesen, das Gehorsam forderte. Auch von ihm. Ohne wirklich zu verstehen, was ihn dazu trieb, warum er sich unterwarf, ging er ein zweites Mal in die Knie, freiwillig allerdings. Er neigte den Kopf, es war richtig, das wusste etwas in ihm, das er nicht genau benennen konnte. Der comte d´Illjin nickte beifällig und lächelte, streckte eine Hand aus: „Steht auf, monsieur le comte. Willkommen in unserem Haus, wir sind schon sehr neugierig auf Euch.“ Wenn er sprach, blitzten dann und wann seine Reißzähne auf.
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